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(Journal vom 15. April 1999, publiziert in der Basler Zeitung
"Im Internet können (auch) Kleine ganz
gross sein"
Von Dani Metzger
Papeterien, Bäckereien oder Blumengeschäfte:
In der Schweiz interessieren sich auch kleine und mittlere Unternehmen zunehmend für den
elektronischen Handel im Internet. Um am sogenannten E-Kommerz teilhaben zu können,
genügen rasch gezimmerte Webseiten aber je länger je weniger. Aufwand und Betreuung
werden rasch einmal unterschätzt. Auch sollte man sich über das Zielpublikum im Klaren
sein.
US-Marktforscher von Forrester Research Inc. erwarten,
dass der Geschäftshandel im Internet in den Vereinigten Staaten bis zum Jahr 2003 einen
Umfang von fast zwei Billionen Franken erreicht. Die Online-Verkäufe sollen ebenfalls in
den nächsten fünf Jahren auf weltweit rund 5 Billionen Franken klettern, ein Anteil von
5 Prozent am globalen Handel.
Die Vorhersagen gehen davon aus, dass in Europa vor allem
Geldgeschäfte über Internet abgewickelt und Finanzinstitute wie die UBS und die deutsche
Commerzbank dabei eine führende Rolle spielen: Sie alleine sollen mehr als 7 Millionen
Internet-Kunden locken. Da hegt mancher Kleinunternehmer den Verdacht, auch er müsse mit
einer Webseite am sogenannten E-Kommerz teilhaben, um von der virtuellen Geschäftswelt
nicht ruiniert zu werden.
Die meisten Webseiten von Kleinfirmen, zeigt ein Rundgang durch das Internet, vermitteln
allerdings kaum mehr Informationen als ein bunter Faltprospekt. Hinter vielen Auftritten
verbirgt sich weniger eine Strategie als die Hoffnung, irgendwie würden sich schon Kunden
finden, wenn man im Web vertreten ist. «Dabei sollten sich Kleinbetriebe zuerst
überlegen, wen sie eigentlich ansprechen wollen», sagt Christoph Hoffmann,
Wirtschaftsingenieur am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der
Universität St. Gallen. «Viele unterschätzen den Aufwand und die Pflege, die für eine
gut funktionierende Webseite im elektronischen Handel nötig sind.» Bei den
Berufsverbänden sieht die Situation kaum besser aus: Selten findet sich einer, der sich
den Luxus eines Spezialisten für E-Kommerz leistet. «Für viele Verbände ist das
Internet etwas Unbekanntes, das man verdrängt, bis es sich nicht mehr umgehen lässt»,
sagt Petra Hämmerli, Leiterin Marketing von Gutenberg Communications Systems AG in
Zürich, die Software-Lösungen für Internet und Netzwerke anbietet. Auch Hämmerli hat
die Erfahrung gemacht, dass mancher Kleinunternehmer ins Web einsteigt und bald
enttäuscht aufgibt, weil schnelle Gewinne ausbleiben. «Es ist eine Illusion zu glauben,
dass jeder im Internet über Nacht zum Millionär wird», sagt sie. Spezialisten rechnen
mit zwei bis drei Jahren Anlaufzeit; alleine ein professionelles Software-Paket zum Aufbau
eines elektronischen Ladens, wie etwa «Intershop 3 Merchants Edition» der US-Firma
Intershop Communications Inc., kostet 8739 Franken. Mietet man sich bei einem Anbieter wie
Swisscom ein, der Software und Speicherplatz zur Verfügung stellt, werden eine
Einrichtungsgebühr von 4500 bis 12'200 Franken plus monatliche Betreuungskosten von 300
bis 1180 Franken fällig. «In den nächsten Jahren werden sich wenige Standard-Programme
von Firmen wie Intershop, Microsoft und IBM durchsetzen», sagt Thomas Zangerl,
Projektmanager bei der Econis AG im zürcherischen Dietikon, die auf E-Kommerz-Lösungen
spezialisiert ist. «Wer dann noch selbst zu programmieren versucht, gerät spätestens
bei der Einbindung des elektronischen Zahlungsverkehrs in Schwierigkeiten.» Von den 2,8
Millionen Franken an Bestellungen, die die von der Swisscom betreuten elektronischen
Läden im ersten Quartal 1999 erwirtschafteten, wurde immerhin 1 Million Franken mit
Kreditkarten bezahlt.
Wie weit automatisieren?
Bei den etablierten elektronischen Händlern ist bereits
nach kurzer Zeit der Trend festzustellen, Abläufe zu automatisieren. «Ein Mensch, der am
PC arbeitet, ist ein Flaschenhals im Informationsfluss», sagt US-Analyst Walid
Mougayar.
Der Blumenverkäufer, der per E-mail eingehende Bestellungen vom Bildschirm abliest und
die Rechnungen von Hand tippt, gilt als hoffnungslos rückständig. Auch die Basler
Papeterie IKJ Bürobedarf will diesen Vorgang, im Verbund mit anderen
Papeteristen, bis
spätestens Anfang nächsten Jahres automatisieren: «Ab dann wollen wir unser ganzes
Sortiment im Internet anbieten», sagt Geschäftsinhaberin Verena Indlekofer. Der Ausbau
geschieht, obwohl bisher kaum Bestellungen per E-mail eingehen: «Die meisten Kunden
finden unsere Adresse zwar im Internet, bestellen dann aber telefonisch.» Das könnte
sich ändern, sobald mehr Angestellte von Grossbetrieben, die für den grössten Teil der
Bestellungen verantwortlich sind, firmenintern Zugang zum Internet erhalten. Vorläufig
scheuen viele Firmen vor diesem Schritt, weil sie befürchten, ihre Angestellten könnten
beim Surfen allerlei Unfug treiben.
Selbst Bäckereien finden neuerdings den Weg ins Internet,
etwa der Familienbetrieb Schulz im aargauischen Reinach. Seit einem Jahr können unter
anderem Rüeblitorten, Butterkonfekt und Marzipanrosen per E-mail bestellt werden.
«Bisher könnten wir von den Online-Bestellungen nicht leben», sagt Geschäftsführer
Kurt Schulz, «aber wir stellen fest, dass das Angebot auf ein wachsendes Interesse
stösst.» Immer mehr wird auch aus dem Ausland bestellt, aus den USA und Australien etwa,
von wo Websurfer süsse Leckereien für die Verwandtschaft in der Schweiz ordern. So
erschliesst sich neben dem bisherigen Kundenkreis, der weiterhin im Ladenlokal einkauft,
ein neuer im Cyperspace, der Schulz zum Nachdenken über seine Strategie im E-Kommerz
veranlasst: Statt nur gegen Rechnung sollen Kunden bald auch mit Kreditkarte bezahlen
können, vielleicht wird das Angebot erweitert, spezielle Aktionen vor Feiertagen könnten
weitere Kunden locken. «Zuerst dachte ich nicht daran, Geld im elektronischen Handel zu
verdienen», sagt Schulz, der den Internet-Auftritt selbst gestaltete. «Jetzt allerdings
wird diese Möglichkeit immer realistischer.»
Virtueller Laden statt Filialen
Mittlerweile findet man auch
Partnervermittlungen im Internet, wie zum Beispiel Irene S. in Reinach, die durch ihr
Gottenkind im Dezember 1997 ins weltweite Web kam. Das Gottenkind erstellt heute als
Programmierer professionelle Internet-Auftritte, und Irene S. denkt über einen Ausbau
ihrer Webseite nach, zum Beispiel mit Kurzbeschreibungen von suchenden Kunden, wie sie
Konkurrenten bereits aufgeschaltet haben. 3500 Besucher verzeichnete ihre Homepage seit
April 1998, «davon bitten 5 Prozent per E-mail um einen telefonischen Rückruf», sagt
sie. Zunehmend kommen die Interessenten auch aus Deutschland, vereinzelt melden sich
Exoten aus Australien oder Russland. «Für Partnervermittlungen ist ein Internet-Auftritt
ein zusätzlicher Werbekanal», weiss Irene S., die dafür Kosten von jährlich 1000
Franken kalkuliert. Anders als Tabakwaren oder Normschrauben lässt sich der zukünftige
Lebenspartner nicht elektronisch bestellen: «Das Internet ersetzt nicht das persönliche
Gespräch zwischen Vermittler und Kunden», erwartet Irene S.
Vorläufig glaubt niemand, dass ein Schweizer Unternehmen den gleichen Weg geht wie die
US-Firma Egghead im Februar 1998: Der Computer- und Software-Verteiler schloss landesweit
sämtliche 250 Filialen und verkauft seither nur noch über Internet, um sich angesichts
fallender Margen einen Wettbewerbsvorteil zu sichern. «Es wird allerdings auch in der
Schweiz verschiedene Branchen geben, in denen man im Internet anbieten muss, um nicht
gegen die Konkurrenz unterzugehen», sagt Petra Hämmerli. Das sind vor allem Branchen, in
denen der Katalogversand heute üblich ist, wo es sich um Autozubehör, Elektronikartikel,
Bürobedarf oder Ferien- und Geschäftsreisen handelt. «Im traditionellen Geschäftsleben
fressen die Grösseren die Kleineren», umschreibt Thomas Zangerl die Bedingungen im
E-Kommerz, «doch im Internet-Handel werden die Langsameren von den Schnelleren
gefressen.» Dabei, hält der Internet-Spezialist fest, kann der Kleinere der Gewinner
sein.
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